Von Mitte Juli 2022 bis Ende Februar 2023, bot das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung (in Zusammenarbeit mit der ivm GmbH, dem Hochtaunuskreis und dem Landkreis Groß-Gerau) insgesamt 40 Pendler*innen aus den beiden hessischen Landkreisen Hochtaunus und Groß-Gerau die Möglichkeit, ihre Pendelroutinen zu hinterfragen und alternative Verkehrsmittel zum Auto auf ihrem Weg zur Arbeit auszuprobieren. Ziel des Experiments war es herauszufinden, ob und wie Pendelroutinen verändert werden können und wo Potenziale und Hindernisse in der Gestaltung einer alternativen und nachhaltigen Pendelmobilität bestehen.
Das E-Bike als beliebteste Alternative
Als Alternativen zum gängigen Verbrenner-Pkw, konnten die Teilnehmer*innen für das Reallabor zwischen der mehrmonatigen Nutzung eines E-Bike, dem öffentlichen Nahverkehr, einem Elektroauto oder der Nutzung eines Co-Working Spaces auswählen bzw. die Angebote kombinieren.
Um sich für die geeignetste Alternative entscheiden zu können, wurde vor dem Start der praktischen Testphase eine individuelle Mobilitätsberatung angeboten. Unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände und der jeweiligen Pendelstrecke zum Arbeitsplatz, erarbeiteten die Mobilitätsberater*innen zusammen mit den Teilnehmenden welches das geeignetste Verkehrsmittel bzw. die geeignetste Verkehrsmittelkombination für den Pendelweg darstellt. Die Teilnehmer*innen erhielten zudem eine „Pendelpauschale“ in Höhe von 125 Euro, die sie dazu nutzen konnten ihren neuen Pendelalltag in beliebiger Art und Weise zu unterstützen (bspw. durch den Kauf von Fahrradbekleidung o.ä.).
Das E-Bike stellte sich bei der Wahl der Verkehrsmittel als beliebteste Alternative heraus. Insgesamt 21 Teilnehmende entschieden sich dazu, ihren Pendelweg für den Experimentzeitraum damit zu absolvieren. Das E-Auto war mit 8 Testenden die zweit häufigste Alternative, während der ÖPNV mit 4 Teilnehmenden am dritthäufigsten gewählt wurde und der Coworking-Space nur einmal getestet wurde. Zusätzlich wurde dreimal die Kombination E-Auto und ÖPNV, zweimal E-Bike und ÖPNV und einmal E-Auto und E-Bike getestet.
Zur Erhebung empirischer Daten wurde mit allen Teilnehmenden ein strukturiertes Vorher- und Nachher-Interview, sowie eine Halbzeit- und eine Abschlussbefragung durchgeführt und diese sowohl qualitativ als auch quantitativ ausgewertet.
Ergebnisse: Mobilitätswende im Kopf – Routinen brechen, Gedanken Anstoßen
Ausschlaggebend für die Qualität der Ergebnisse des „PendelLabors“ war der relativ lange Zeitraum, in dem die Teilnehmer*innen die Möglichkeit hatten ihre neuen Verkehrsmittel zu testen (5 Monate für E-Bike und ÖPNV, 2 Monate für E-Auto und Co-Working). Nur so war es möglich, dass sie sich voll und ganz auf diese einlassen und auch alltägliche Erfahrungen sammeln konnten. Daraus resultieren authentische Erfahrungsberichte und Forschungsergebnisse, die sowohl die Vor- und Nachteile der einzelnen Verkehrsmittel aufzeigen, als auch Erkenntnisse über Chancen und Hemmnisse der Gestaltung alternativer Pendelpraktiken, sowie die Rolle von praktischen Mobilitätsexperimenten unter Realbedingungen beleuchten.
E-Bike
Gelobt für den als erholsam empfundenen sportlichen Ausgleich, dem Zugang zur Natur und der frischen Luft, wurde das Pendeln mit dem Pedelec/E-Bike häufig auch mit dem Faktor Spaß assoziiert. Nachtteilig war hingegen die Anfälligkeit für schlechte Wetter- und Lichtverhältnisse und Unsicherheiten im geteilten Straßenverkehr mit Autos.
E-Auto
Das E-Auto wurde besonders unter dem Aspekt der ökologischen Nachhaltigkeit, sowie seiner entspannten und leisen Fahrweise gelobt. Die größte Schwäche liegt in der mangelhaft ausgebauten Ladeinfrastruktur in den Testgebieten. Darüber hinaus wurde der Pendelweg mit dem E-Auto allerdings mit Blick auf die Zeitnutzung und den Stress ähnlich wie das Pendeln mit dem Verbrenner bewertet.
ÖPNV
Unter optimalen Bedingungen liegt der Vorteil des Pendelns mit dem ÖPNV in der freien Gestaltung der Pendelzeit. Da man sich nicht aktiv mit dem Straßenverkehr auseinandersetzen muss, kann man die Zeit im ÖPNV zum Abschalten oder Produktiv sein nutzen. Verspätungen und Ausfälle sind die größten Mängel beim Pendeln mit dem ÖPNV.
Neue Routinen und Alltagserfahrungen
Das alltägliche Einlassen auf neue Pendelpraktiken hat bei den Teilnehmer*innen zu neuen Alltagserfahrungen und der Etablierung neuer Routinen geführt. Dazu gehören sowohl negative Erfahrungen wie die Erkenntnis über eine eingeschränktere Flexibilität, die noch unzureichend ausgebaute Ladeinfrastruktur für E-Autos und ein Mehraufwand in der Alltagsorganisation. Dominierender waren jedoch die positiven Alltagserfahrungen zu denen ein gesteigertes Wohlbefinden und die Reduzierung von Stress durch mehr Bewegung an der frischen Luft gehören, ein fitteres und wacheres Ankommen am Arbeitsplatz, das Abschalten im ÖPNV auf dem Nachhauseweg oder auch ein verbessertes Fahrgefühl durch eine umweltschonende und nachhaltigere Fahrweise.
Neue Routinen die in Verbindung mit den neuen Pendelpraktiken standen umfassten zum Beispiel das mobile Arbeiten im Zug, ein- bis zweimalige monatliche Großeinkäufe mit dem Pkw um den Rest des Monats mit dem E-Bike fahren zu können oder das simple abendliche Laden des E-Autos an der heimischen Ladestation und der Wechsel von Fahrradkleidung in Alltagskleidung am Arbeitsplatz.
Anstöße zum Umdenken
Neben diesen praktischen Ergebnissen, zeigt sich auch ein deutlicher Einfluss auf die Einstellung gegenüber dem Pendeln und Mobilität allgemein sowie dem Mobilitätsverhalten. Rund 70% der befragten Teilnehmer*innen gaben an, ihre Einstellung gegenüber dem Pendeln im Allgemeinen geändert zu haben und weitere rund 76% haben angegeben, dass sich durch das Experiment ihr Blick auf nachhaltige Mobilität geändert hat. Der nachhaltige Charakter dieser Ergebnisse zeigt sich auch in der folgenden Abbildung, welche die Veränderungen im Pendelverhalten der Teilnehmer*innen zeigt. Von 39 Befragten, haben lediglich 8 Teilnehmer*innen angegeben, keine Änderungen an ihrem Pendelverhalten vorgenommen zu haben oder dies aus unterschiedlichsten Gründen nicht zu können. Die restlichen 31 Teilnehmer*innen hingegen haben ihr Pendelverhalten bereits geändert oder haben dies entsprechend ihrer jeweiligen Möglichkeiten in Zukunft vor. Dabei gaben die meisten an zukünftig mehrere Verkehrsmittel miteinander kombinieren zu wollen, d.h. multimodal zu pendeln.
Abbildung: Veränderung des Pendelverhaltens, n=39
Fazit
Die wichtigste Erkenntnis die aus dem Mobilitätsexperiment im Projekt „PendelLabor“ zu ziehen ist, besteht also in seiner transformativen Wirkung auf die Einstellung der Teilnehmenden bezüglich ihres Verkehrsverhaltens. Bei der Mehrzahl der Teilnehmer*innen hat das Experiment zu einem Umdenken in der Gestaltung ihres Pendelalltags und dem damit verbundenen Umweltbewusstsein geführt. Auch wenn die wenigsten Teilnehmenden gänzlich auf den Pkw verzichten können oder wollen, haben sich alle aktiv mit ihrem Pendelverhalten auseinandergesetzt, dabei neue Mobilitätsangebote kennengelernt, sind zu einem großen Teil offener für Alternativen geworden und haben neue Strategien und Routinen zu einer ökologisch nachhaltigeren Gestaltung ihres Pendelverkehrs und ihrem restlichen Alltag entwickelt. Das PendelLabor zeigt damit auf wie es möglich sein kann Mobilitätsverhalten in Richtung Nachhaltigkeit zu gestalten. Durch die Möglichkeit Alternativen kennenzulernen, kann der Verbrenner-Pkw als Selbstverständlichkeit relativiert werden und die Hemmschwelle neue Alltagspraktiken und Routinen anzunehmen gesenkt werden. Mobilitätsexperimente wie das PendelLabor können die Mobilitätswende in den Köpfen der Menschen entscheidend in Gang setzen und in der Folge nachhaltige Verhaltensänderungen mit sich bringen.